In diesem Beitrag möchte ich mich genau dieser Frage und Thematik stellen. Zur Vorgeschichte und diese als Impuls läßt sich nur so viel sagen, das es zwei Biermarken als (Re)tasting auf den Gabentisch geschafft haben, bei denen es nach ca. 12 Monaten zu ersichtlichen Unterschiede in der Schlussbewertung kam.
Wie kann es sein, dass ein und dasselbe Bier nach 12 Monaten plötzlich besser oder schlechter schmeckt? Tatsächlich kann dies unterschiedliche Gründe haben, die man sich mal genauer anschauen kann.
Geschmacksveränderung durch Alter
Ab ca. 60 Jahren verändert sich die Normogeusie, das Geschmacksempfinden. Ist die Gustatorik also die gesamte Geschmackswahrnehmung vor dem 60. Lebensjahr gestört oder von heut auf morgen deutlich verändert, hat dies eine andere Ursache, der man medizinisch nachgehen sollte.
Differenziertere Wahrnehmung durch Geschmacksentwicklung
Durch regelmäßiges Training der auf der Zunge liegenden Geschmackspapillen verbessert sich die Normogeusie, ähnlich wie sich Muskeln entwickeln, wenn man sie trainiert. Die Geschmackswahrnehmung kann also durchaus differenzierter und feiner werden und dadurch Nuancen zum Vorschein kommen, die man sonst nicht wahrnehmen würde.
Fehlende Neutralisation der Zunge
Ist die Zunge der Mundraum nicht ausreichend neutralisiert, kommt es zu einer Geschmacksverfälschung. Am deutlichsten zeigt sich diese, wenn man vorher stark gewürztes isst oder die Zunge durch Chili betäubt ist oder durch Knoblauch, Menthol-Bonbons usw.
Veränderung der Rezeptur, Rohstoff und Aromaqualität
Am häufigsten liegt es an der bewusst herbeigeführten Veränderung der Rezeptur und noch häufiger an der natürlich vorliegenden Rohstoff und Aromaqualität eines Produktes. Ein „natürliches“ Produkt kann anders als ein „synthetisches“ Produkt niemals Qualitäts- und Aromenbeständigkeit hervorbringen, da diese von diversen Umwelteinflüssen abhängig sind.
Fehlaromen durch Ablauf oder Verfall
Bier ist ein extrem empfindliches Lebensmittel, das im optimalen Fall so frisch wie es nur geht, getrunken werden sollte. Je länger es steht, Vibrationen und UV Strahlung ausgesetzt ist, je mehr Aromaverlust herrscht vor.
Psychische und Physische Verfassung so wie Voreingenommenheit
Oft ist es so, dass der Geschmack von der Tagesform abhängt. Genuss entsteht im Kopf nicht im Produkt. Auch nicht irrelevant ist die leider oft schwingende Voreingenommenheit, der man sich aufgrund zuvor gemachter Erfahrungswerte / Meinungen nicht völlig entziehen kann.
Wie viel Raum hat die Subjektivität?
Was den einen schmeckt, muss einem anderen nicht schmecken. Am Ende ist es also immer Geschmackssache. Bei einem Biertest verhält es sich also nicht viel anders als mit einer Filmrezension oder einer Review zu einer Musik-CD. Selbst ein gemaltes Gemälde oder erstelltes Kunstwerk mag man es noch so gut beschreiben, hat auf seinen Betrachter eine unterschiedliche Wirkung. Wir Menschen haben also von Natur aus nicht nur ein unterschiedlich ausgeprägtes Wahrnehmungsbewusstsein, sondern auch eine unterschiedliche Erlebniswelt, wie man etwas wahrnimmt und wie viel Bedeutung man hineininterpretiert. Liegt der eine seinen Fokus auf den Malzkörper, legt der andere ihn auf den Aromahopfen usw.
Welche Bedeutsamkeit oder Gültigkeit hat dann ein Biertest für den Leser / Zuschauer?
Betrachtet man es nüchtern, tatsächlich nicht viel, denn nur die eigene Erfahrung bringt Gewissheit, ob man ein Bier lecker findet oder nicht. Mit einfachen Worten die „Seele“ des Geschmacks, lässt sich nicht vermitteln und übertragen und ist „ausschließlich“ eine persönliche, nicht übertragbare Erfahrung.
Was bleibt dann unterm Strich, um einen klassischen Biertest doch noch einen Nutzwert zuzusprechen? Nach Adam Ries zweifelsfrei die Präsentation und Beschreibung, also all die Attribute, die in den Bereich der Objektivität fallen. Farbe, Konsistenz, Karbonisierung, Beschaffenheit der Blume und sogar die allgemein anerkannte Ausprägung der Aromen (süß, sauer, fruchtig, herb, floral usw.) Theoretisch müßte man zu einem Biertest also treffender Bierbesprechung sagen. – Ob man ein Bier gut bespricht, lässt sich dann anhand des Durchschnitts sehen. Wenn der Durchschnitt der Leser / Zuschauer gleicher Meinung oder zur gleichen Wahrnehmung gekommen ist, hat man seinen Job wohl gut gemacht. 🙂
Fazit:
Ein klassischer Biertest ist also insofern sinnvoll, indem er sich der Besprechung bedient und möglichst präzise alle Attribute beschreibt, die von Relevanz sind. Der primäre Kern liegt also darin, dem Leser / Zuschauer ein neues Bier vorzustellen und durch Besprechung zu präsentieren, um ihn Appetit darauf zu machen und das ist wiederum der entscheidende Faktor aus dem ökonomischen Aspekt, warum Brauerei und dessen Marketingbeauftragte ein Interesse an Influencer / Biertester etc. haben könnten.